Your True Face - 1


Titel:            Your True Face
Kapitel:        1
Fandom:      KnB
Genre:         AU | Drama | ‚Mafia‘ | Gewalt
Pairing:        Haizaki x Kise | Aomine x Kise | …
Summary:    Kise Ryōta hat viele Gesichter. Je Kapitel eine andere Perspektive aus der Sicht eines anderen Charakters.


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- Angel -
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The Great Conjunction - 1


Titel:            The Great Conjunction
Kapitel:        1
Fandom:      KnB
Genre:         AU | Drama | Humor | Alltag
Pairing:        Aomine x Kise
Summary:    Im Alter von 33 Jahren hat Aomine Daiki im Gegensatz zur restlichen Generation der Wunder immer noch kein richtiges Lebensziel. Nach Jahren trifft er durch einen Zufall auf Kise Ryōta, nur um festzustellen, dass etwas, was zwischen ihnen in der Vergangenheit passiert ist, immer noch währt.



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- Empty Inside -
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Ein Blick.

Ein einzelner Blick

Beladen mit so viel Vergangenheit, die all die Jahre nicht gesehen werden wollte.
Ein vertrauter und zugleich längst fremd gewordener Blick.
Unverfänglich, rein, unbeschrieben und doch verdorben durch alles, was geschehen war.
Bloß ein einzelner Blick.

Ein Blick, der das Kartenhaus aus Verdrängung und Gleichgültigkeit mit federleichter Eleganz zum Einsturz brachte.


Eigentlich wollte er bloß verfrüht ein Weihnachtsgeschenk für Satsuki auf diesem dämlichen Rummel holen, weil er wusste, dass sie auf so einen Kram stand. Aber von all den Menschen, die Aomine Daiki hätten an diesem Tag begegnen können, zwischen all den unnötig überladenen Ständen und begeisterten Teenagern, zwischen all den bodenlos verliebten Pärchen, zwischen all den Turbulenzen der anrückenden Menschenmassen, musste es ausgerechnet Kise Ryōta sein.

In einem Meer aus Gesichtern jemand Unverwechselbares.
Ein Lächeln von früher. Ein selbstbewusstes Strahlen. Der goldenen Schimmer des blonden Haares.

Von all den Leuten, die Aomine Daiki seit Ewigkeiten nicht gesehen hatte, musste es ausgerechnet  einer sein, den er am wenigsten treffen wollte. Einer, den er am wenigsten leiden konnte.
Der nervigste, der dümmlichste, der fröhlichste.


Ein Blick.


Kise Ryōta nahm ihn nicht sofort wahr. – Eine Chance sich einfach auf dem Absatz umzudrehen, es gar nicht erst zu einem Treffen kommen zu lassen, nie da gewesen zu sein.
Er zögerte nur einige Sekunden. Dann war es zu spät. Zu nah stand er bereits dran.
Selber Stand voller Edelsteine, die nach Sternzeichen sortiert waren.
Knappe anderthalb Meter entfernt.
Unübersehbar.

Kise Ryōta hob leicht verwirrt den Kopf, strich sich eine hartnäckige Strähne hinters Ohr, sah zu ihm.
Und dann war es vorbei.
Kein Rückzug mehr möglich.
Als hätte irgendwo in seiner Brust eine Falle zugeschnappt.
Seine Lunge verweigerte ihm den Dienst. Seine Kehle – trocken und rau.
Als wäre die Zeit stehengeblieben verschwamm die Umgebung in einem einzigen, bewegungslosen Moment.
Bilder, Stimmen, Gerüche – unwichtig.

Wenn ein Blick mehr als tausend Worte sagen konnte, dann wäre das wohl der richtige Moment dafür. Doch er war so nichtssagend, so frei von jeglicher Absicht und jeglichem Sinn, dass nur noch Worte diesen Moment füllen konnten.

„Aomine?“, fragte Kise. „Aomine Daiki? – Aominecchi?!“


Daiki öffnete den Mund, wollte irgendetwas sagen, aber jemand unterbrach ihn.


„Papa, wer ist das?“


Sein Blick riss sich von den hellbraunen Augen los, glitt zur Quelle der zarten Stimme.
Ein kleines Mädchen klammerte sich an Kises Hosenbein. Das Mädchen, dem Kise gerade noch die Edelsteine gezeigt hatte. Es schaute mit denselben hellbraunen Augen zu Daiki empor.
Dasselbe blonde Haar. Dieselbe Schönheit der feinen Gesichtszüge.

„Wow, was für ein Zufall, Aominecchi!“ Erst nach der Äußerung seiner Überraschung richteten sich Kises Worte an das Mädchen. „Das ist ein alter Schulkamerad von mir, Natsu-chan, wir waren zusammen auf derselben Mittelschule und haben uns bestimmt schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen!“ Er sah wieder auf und penetrierte Daiki mit einem derart neugierigen und strahlenden Blick, dass es schwer werden würde, sich davon loszureißen. „Was machst du hier?“

Stille breitete sich aus, als hätte Kise Ryōta sein Gegenüber gar nicht angesprochen. Was sollte Daiki dazu auch sagen? Wohl kaum, dass er keine Zeit für einen Plausch hatte, weil er zu beschäftigt war. Das würde sich viel zu sehr nach einer gekünstelten Ausrede anhören. Und diese Blöße wollte sich Daiki definitiv nicht geben. Nicht bei Kise und seiner – er sah fast ungläubig wieder zu dem kleinen Mädchen runter – Tochter.
„Ist es dein Ernst?“, fragte er stattdessen, unbewusst darüber wie dumm das klingen mochte. „Du hast ein Kind?“
„Was ist das für eine Frage, Aominecchi? Wir sind doch keine 16 mehr“, bekam er nur zur Antwort.
Er konnte sich der unleugbaren Ähnlichkeit zum Trotz nicht vorstellen, dass Kise Ryōta eine Tochter hatte. Der quirlige, kindische Kise, der nie wusste, wann man den Mund halten sollte. Wie konnte so einer ein Kind haben?
Daiki sah weiterhin unbeirrt skeptisch hinunter zu dem Mädchen. Das kleine Häufchen Mensch, das seinem Vater knapp bis zur Mitte des Oberschenkels reichte, schaute mit unverblümter Reinheit zu ihm zurück. Es war, als würden die hellbraunen Augen geradewegs Daikis Seele infiltrieren, ohne dass er dem entgegenwirken konnte. Ihm wurde ganz mulmig zumute und er hätte nie gedacht, dass Kises Stimme einmal irgendwie rettend sein würde.
„Na los, lass uns doch ein Eis essen gehen“, schlug Kise vor, sodass seine Tochter ihren Blick von Daiki abwandte um plötzlich wie ein kleiner Stern ihren Vater anzustrahlen. „So zur Feier unseres Wiedersehens, meine ich. Na?“ Dieser beugte sich ein wenig runter, strich dem Mädchen liebevoll über den Kopf und nahm es anschließend bei der Hand.


Daiki wusste nicht, warum er überhaupt mit den beiden mitging und auch nicht, warum Kise Ryōta darauf bestanden hatte. Letzterer hatte zielstrebig ein offenes Eiscafé ausfindig gemacht und nun saßen sie um einen kleinen, runden Tisch, nur um sich in aller Seelenruhe anzuschweigen, während sie auf das Eis warteten. Zumindest wartete Kises Tochter auf ein Eis. Ihr Vater hatte sich einen Latte Macchiato bestellt und Daiki rührte in seinem Espresso mit dem Löffel herum, in der Hoffnung, dass das Treffen aufgrund des unangenehmen Schweigens bald vorbei ging. Allerdings schien es nur für Daiki unangenehm zu sein, denn die Kleine beschäftigte sich eifrig mit dem Bekritzeln eines Notizblocks, den Kise ihr für diesen Zweck gereicht hatte, während er selbst gelassen hin und wieder zu ihr rüber sah. Entgegen jeder Erwartung hatte er nicht die Absicht Daiki vollzuquasseln.
Das Kind schien ebenfalls die Ruhe in Person zu sein, anstatt hibbelig auf dem Stuhl herumzurutschen und irgendeinen Bullshit zu erzählen, den Kinder so von sich gaben, wenn der Tag lang war. Es kam der Situation zugute, weil Daiki sich deswegen nicht bemühen musste, das Ganze zu ignorieren. Er mochte Kinder nicht sonderlich, wusste nicht, wie er mit ihnen umgehen sollte. Darüber hinaus wollte er es auch gar nicht wissen, genauso wie er diverse Sachen aus Kises Leben nicht wissen wollte. Es war also außerordentlich entspannend (wenn auch sehr überraschend), dass Kises Balg keine besondere Aufmerksamkeit verlangte. Trotzdem schwebte eine seltsame Anspannung in der Luft, als müsste etwas gesagt werden, und je länger Kise in der Ruhe der Dreisamkeit aufging, desto unruhiger rührte Daiki in seinem Getränk. In der Tat rührte er mehr, als dass er es trank.
Eigentlich mochte er Kaffee nicht einmal. Er war niemals seine erste Wahl und auch weit davon entfernt, sein Lieblingsgetränk zu sein, aber er hatte ihn sich eher einfachheitshalber bestellt, um sich nicht rechtfertigen zu müssen, warum er sich stattdessen so ein Kindergesöff wie Kakao bestellte. So was konnte er sich auch zu Hause anrühren, wenn überhaupt noch was da hatte.
Es war vielleicht kindisch, aber aus unerfindlichen Gründen hatte Daiki das Bedürfnis, keine Grundlage für Fragen zu liefern. Und schon gar nicht bei Kise, welcher schließlich doch noch die Stille zwischen ihnen durchbrach.
„Man hört nicht viel von dir“, sagte er feststellend und nippte am Schaum seines Getränks. Das Geräusch, das dabei entstand, störte Daiki in etwa so sehr, wie jemanden ein unsittliches Schmatzen beim Essen stören würde. Er verzog leicht das Gesicht und wandte den Blick zu seinem bitteren Gebräu abwärts.
„Es gibt halt nicht viel zu hören“, erwiderte er knapp.
Ein leises Lachen war die Antwort darauf.
„Du klingst ein bisschen so, als wärst du tot, Aominecchi. Aber das bist du ja nicht, also gehe ich davon aus, dass irgendetwas in deinem Leben abgeht.“

Tot.

Ein Stichwort, das verstörenderweise durchaus zutraf.

„Was machst du momentan? Hast du eine Freundin? Wie geht es dir? Ist doch irgendwie klar, dass ich so was wissen will.“
Daiki nahm augenblicklich zurück, was ihm einige Minuten vorher noch durch den Kopf gegangen war. Die Intention ihn zuzulabern hatte Kise einfach nur bis zu diesem Moment aufgeschoben.
Bist DU vielleicht eine ekelhafte Nervensäge. Das war alles, was Daiki sich gerade dachte.
„Du hast dich echt kein Stück verändert, Kise.“ Er seufzte mit genervtem Unterton, nahm einen Schluck von seinem Kaffee, um ein wenig Zeit zu schinden und räusperte sich leise, weil die Bitterkeit seinen Geschmacksnerven zusetzte.
„Mir geht’s gut. Nein, ich habe keine Freundin. Und ich mache nichts, was für dich spannend zu erfahren wäre“, fuhr Daiki aufzählend fort. Er leierte die Antworten beinah runter, als hätte ihn ein Lehrer in der Schule aufgefordert, das Alphabet aufzusagen.


Tot.

Irgendwo innerlich war er es wirklich schon lange.




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Kapitel 2 – On The Verge Of Succsess
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Das perfekte Drama - 1



Titel: Das perfekte Drama
Kapitel: 1
Fandom: KnB
Genre: AU | Humor | Alltag
Pairing: Aomine x Kise
Inhalt: Eine feste Beziehung ist gar nicht mal so einfach, wie man sie sich vorstellt. Und schon gar nicht, wenn es sich um eine langjährige Beziehung zwischen Kise Ryōta und Aomine Daiki handelt. Chaos vorprogrammiert!



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… und die Trümmer der Besessenheit
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- der Vorhang hebt sich -



Kise Ryōta war untröstlich.
Seit heute Morgen war er unausstehlicherweise damit beschäftigt ein Trauerkloß zu sein und einen Leidensprozess zu durchleben, der sich gewaschen hatte. Er musste sogar selbstsüchtig einen Fotoshootingtermin absagen und wälzte sich den ganzen Tag lang in beinah ekelhaftem Selbstmitleid, das bei jedem anderen vermutlich unter dem Stichwort „Erregung öffentlichen- und privaten Ärgernisses“ ans Gericht gegangen wäre. Aber da es immerhin Kise Ryōta war, von dem wir hier sprechen, ließ man es ihm gerade noch so durchgehen, schließlich wusste man nur allzu gut von seinen Eskapaden als Dramaqueen vom Amt. Genau dadurch war er ja quasi berühmt geworden und im Endeffekt fiel es ja eh nur hauptsächlich den Nerven eines ganz gewissen Herrn zur Last; welcher übrigens genau in diesem Moment – am späten Nachmittag – widerwillig vom polizeilichen Dienst nach Hause eilte, um endlich herauszufinden, was eigentlich vorgefallen war.
Zuerst hatte sich Aomine Daiki angefangen ernsthafte Sorgen zu machen, als er die Tür aufmachte und Kise in einer schlaffen, apathischen Pose auf dem Boden des gemeinsamen Wohnzimmers vorfand. Mit feuchtem Blick strich Besagter zitternder Hand über den Deckel einer viereckigen Holzschatulle und war offenbar kurz davor, die Arme um seine angewinkelten Beine zu schlingen und den Oberkörper wie ein psychisch Gestörter hin und her wanken zu lassen. Dann sah er mit Verzweiflung auf und verlieh damit dem dramatischen Gemälde das i-Tüpfelchen. Genau das i-Tüpfelchen, das Aomine letztendlich dazu veranlasste, mit 99,9-prozentiger Sicherheit sagen zu können, dass das hier mit Ernsthaftigkeit nichts zu tun hatte, wenn es Kise schon auf diese Art und Weise ausarten ließ.
Mit einem genervten Seufzen bedauerte Aomine kurz die Tatsache, dass er sich aufgrund von Kises warnender und flehender Nachmittags-SMS beeilt hatte heimzukommen, dann zog er die Jacke seiner Uniform aus, warf sie auf die Couch und schmiss sich auf das Polster daneben, unweit des verstörten, blonden Wracks.
„Also. Was ist los?“, fragte er anschließend direkt und ohne Umschweife.
Ein leises Wimmern drang zu seinem Ohr durch und er sah schräg zu seinem anstrengenden Lover runter, der den Blick sofort nach der Ansprache erwiderte. Seine Augen waren gerötet und die langen Wimpern klebten wegen der Feuchtigkeit der wohl vergossenen Tränen zusammen.

Sie ist tot“, sagte er dann nur mit bebender, desillusionierter Stimme.

„Wer?“

Sie hatte mich so lange begleitet! So lange, Aominecchi!

Wer ist denn tot, um Himmels Willen?“

Theatralisch und ohne auf Aomines Fragen auch nur im Geringsten einzugehen, fasste sich Kise mit dem Handrücken an die Stirn, während er traurig in die Ferne starrte.

„Wie soll ich jetzt nur jeden Tag aufstehen? Wie soll ich nur weiterleben?!“, schnitt Kises kummervolle Stimme wieder durch den Raum.

„Okay, pass auf, Ryōta“, verkündete der inzwischen ziemlich verärgerte Polizist warnend, „entweder du erzählst jetzt, was los ist, oder ich nehme Kagamis Vorschlag, saufen zu gehen, doch noch an.“
Nein!“ schallte es im Raum wider und Kise heftete sich ruckartig an Aomines rechtes Bein, als würde er ihn daran hindern wollen, in den Krieg zu ziehen. „Nein! Verlass du mich nicht auch noch, Aominecchi! Ich flehe dich an! Ich brauche dich! Wenn nicht du, wer dann? Wer kann mich dann über diesen schrecklichen Verlust hinwegtrösten?!“

Okay – das ging entschieden zu weit. Die Szene war so pathetisch, dass man meinen könnte, Kise hätte sie für eine seiner Fernsehserien einstudiert, in denen er zur Erweiterung seiner Karriere mitspielte.
„Ich glaube, es hakt!“, zischte Daiki und gab Kise einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf – irgendwo zerbarst dabei eine romantische Vorstellung irgendeines Yaoi-Fangirls in tausend kleine Scherben – doch der darauffolgende Anblick seines gekränkten Freundes versetzte ihm einen quälenden Stich in der potentiellen Nähe seines Herzens. Jenem Anblick konnte vermutlich höchstens Akashi Seijūrō standhalten. Vielleicht nicht einmal der, weshalb Kise auch ganz genau wusste, dass er so etwas niemals bei ihm abziehen durfte, da Akashi nämlich eher dazu tendieren würde, Kise von seinem Leid mit augenblicklicher Sterbehilfe zu erlösen.
Das uniformierte Bein wurde zwar artig losgelassen, doch das wehleidige Model sah dafür sogleich um einiges elender aus, als vorher.
„Du brichst mir mein eh schon gepeinigtes Herz, Aominecchi!“, wimmerte Kise mit zitternden Lippen, während er sich die schmerzende Stelle am Hinterkopf rieb und mit der konzentrierten Unschuld hunderter Babykätzchen nach oben zum rasch aufgestandenen Aomine blickte. „Und ich dachte noch, das zwischen uns wäre ernst!“
Manipulatives Miststück! Dachte Aomine verbissen, nicht ohne das Gefühl loswerden zu wollen, er müsse jemandem gleich die Kugel geben – vorzugsweise sich selbst, um solche blonden Idioten nie wieder ertragen zu müssen. Dann hockte er sich allerdings hin und zog seinen Freund auf etwas stürmische Art und Weise doch noch in die Arme.
„Schon gut. Ist ja schon gut“, sagte er gepresst und klang nach jeder erdenklichen Gefühlsnuance des Zornes, nur nicht nach Trost, nach dem er eigentlich klingen sollte. Kise störte sich jedoch überhaupt nicht daran. Die Umarmung wurde sofort mit anschmiegsamer Anhänglichkeit erwidert und die Stirn des Blonden rieb sich mit verschmuster Zärtlichkeit in die Obhut von Aomines Halsbeuge. Letzterer konnte nur einer höheren Wesensinstanz wie Gott oder Ähnliches danken, dass er heute eine lange Arbeitsschicht gehabt hatte und sich dieses Gejaule statt den ganzen Tag lang, erst nach Feierabend antun musste. – Und das sollte schon was heißen, denn Arbeit war nicht gerade Aomines Lieblingsbeschäftigung, obwohl er zumindest für den Papierkram immer seinen auserwählten Arbeitssklaven Sakurai benutzte, während er selbst gemütlich einen Kaffee auf dem Gemeinschaftsbalkon des Polizeireviers schlürfte.
So wie es aussah, würde ihm seine tatsächliche Lieblingsbeschäftigung heute allerdings eh verwehrt bleiben und er bereute es, Kagami abgesagt zu haben. Im betrunkenen Zustand hätte sich Kises Defizit an geistigem Fortschritt vielleicht besser ertragen lassen, wenn es heute schon nicht auf Sex hinauslaufen würde.
Und da Aomine Daiki wusste, dass es schneller vorbei war, wenn er den gewissenhaften Liebhaber mimen würde, strich er Kise letzten Endes beruhigend mit der Hand über den Rücken.
„Sagst du mir jetzt, was los ist?“, fragte er dabei mit einer nunmehr gelassenen und weitaus tröstenden Stimme, um das Ganze etwas zu beschleunigen.
Noch einen kurzen Moment lang drückte sich Kise liebesbedürftig an seinen Freund, ehe er schließlich von ihm abließ und niedergeschlagen in Richtung der hölzernen Schatulle an seiner Seite nickte.
„Ich werde es dir einfach zeigen“, murmelte er mit vorgeschobener Unterlippe. Dann glitten seine Hände zielgerichtet zum Deckel des Kästchens. „Versprich mir, dass du mich nicht auslachst, sondern tröstest, okay?“
„Ja, ja, in Ordnung. Mach schon auf.“ Aomine versuchte seine Gedanken davon abzulenken, sich nur um eine gewisse Art des Trostes zu drehen – nämlich um eine erotische. Nicht, dass er heute Nacht zum Schlafen (wieder) auf die Couch verbannt wurde, denn egal wie übertrieben Kises Drama sein mochte – konsequent war dieser allemal gern, wenn man seine emotionalen Ergüsse nicht ernst nahm.

Mit spannungsgeladenem Zögern entfernte Kise den Deckel und Aomine erblickte nun endlich den Inhalt und den Grund des ganzen Dilemmas.

„… Dein Ernst?“, fragte er trocken.
„Ja, Aominecchi! Voll und ganz!“

In der Schatulle, die von innen offenbar wie eine Art Sarg für handgroße Menschen präpariert worden war, lag weder Däumelinchen, noch eine tote Maus, noch war es im Entferntesten etwas, das man hätte jemals als lebendig bezeichnen können.

Es war nämlich nichts mehr und nichts weniger als eine simple Keramiktasse.

Besser gesagt: Die Scherben einer simplen Keramiktasse.

Und leider Gottes nicht nur irgendeiner simplen Keramiktasse – Aomine erinnerte sich „vage“ – es waren die Scherben der Keramiktasse, die Kise beinah jede Minute seines häuslichen Aufenthaltes mit sich herumzutragen pflegte. So zum Beispiel früh morgens, wenn er seinem Lover verschlafen und mit einem verträumten Lächeln im Türrahmen stehend dabei zusah, wie sich dieser für den Aufbruch zur Arbeit fertigmachte. Oder spät abends, wenn sie sich zusammen in eine kuschelige Wolldecke gehüllt einen Filmklassiker reinzogen. Oder zu jeder erdenklichen Tagesmahlzeit und darüber hinaus („Man muss immer viel trinken, Aominecchi. Das ist das Geheimnis meiner makellosen Haut!“). Die scheiß‘ Tasse stand sogar in den meisten Fällen auf dem Nachttisch, wenn sie gemeinsam schlafen gingen, und war geschätzt jedes zweite Mal Zeugin höchst intimer und heißer Bettaktivitäten.
Manchmal hatte Aomine im Geheimen sogar das Gefühl, von ihr beobachtet zu werden – aber, psst! – So viel zum Thema, sie sei nicht lebendig …
Wie dem auch sei: Aomine Daiki konnte nun mit Gewissheit sagen, dass ja – er hatte eine der wohl dümmsten Blondinen zum Lover, und nein – es war vorläufig noch kein Grund sich über ihren gemeinsamen Beziehungsstatus Gedanken zu machen. Denn einerseits war Kises Reaktion auf das Zerbrechen seiner Lieblingstasse vielleicht das Bekloppteste, was man sich je vorstellen konnte, doch andererseits war es ja irgendwie auch ganz süß, vorausgesetzt man ignorierte das tatsächliche Ausmaß des elendigen Leidens,in das sich Kise reinsteigerte. Dieses weckte in Aomine nämlich sowohl einen krankhaften Beschützer-, als auch einen herausragenden Mörderinstinkt, wobei sich der Polizist bewusst war, dass er sich besser für Ersteres entscheiden sollte, wenn er noch seinen Job behalten wollte.

„Sie hat mich heute auf grausame Weise verlassen, Aominecchi“, fuhr Kise unbeirrt fort. „Schau – ich habe sogar eine Kriegsnarbe davongetragen, als ich versucht habe sie aufzufangen!“ Er hielt Aomine seinen Zeigefinger vors Gesicht, um auf eine Brandblase im Miniaturformat zu deuten, die auf der blassen Haut mithilfe einer Lupe vorzufinden wäre, wenn man sich sehr anstrengen mochte.
„Du hast so was von ‘nen Knall, Ryōta“, zischte Aomine resigniert, während er stolz auf sich war, seine aufsteigende Wut im Zaum halten zu können.
„Habe ich nicht!“, widersprach Kise vorwurfsvoll. „Es war der schwerste Schlag meines Lebens! Also tröste mich! Tröste mich sofort! Und zwar die ganze Nacht lang!“ Er klammerte sich mit beiden Händen an den Arm seines Gegenübers, um daran leicht zu rütteln. Aomine versuchte sich vergebens aus diesem Griff zu winden und beschloss im Anschluss, Kise stattdessen an der Schulter so weit wie möglich auf Abstand zu halten. Wenn er schon nicht loskam, wäre dann zumindest etwas Distanz da.
„Ich kauf dir morgen verdammt nochmal ‘ne Neue, also komm mal runter!“
„Aber Aominecchi! Sie war einzigartig, verstehst du nicht? Ausschussware!“ Bestürzt gebärdete sich Kise mithilfe verzweifelt gefuchtelter Gesten, nachdem er Aomine endlich losgelassen hatte. „Mit einem kleinen Riss im Lack und einer verführerischen Linkskrümmung am Henkel! Immer, wenn ich ihn betrachtete, erinnerte er mich an deinen-“
„Schnauze!“, schnitt Aomine scharf ab, nicht länger die Zornesader unterdrückend, die auf seiner Schläfe zu pulsieren begann. „Wenn du dich schon imstande fühlst, über meinen Schwanz zu reden, können wir auch gleich vögeln.“

Dies wirkte wie das Umlegen eines allzu berühmten Schalters.

Aus Kises Gesicht wich von einer auf die andere Sekunde sofort jeder welpenhafte Zug. Die Feuchte in den Augenwinkeln war sofort ausgetrocknet und mit einem vielsagenden Schmunzeln biss er sich auf die Unterlippe, während sich seine Augen langsam verengten.

„Mhh, vielleicht war das ja mein Ziel“, raunte er mit gesenkter Stimme, die man beim besten Willen nicht mehr als unschuldig bezeichnen konnte, selbst wenn man es versuchen würde.

Sein Gegenüber blinzelte aufgrund von unwillkürlicher Verwirrung.
„Warum dann das ganze Theater, hä?! Das hättest du doch auch gleich sagen können, verdammt nochmal!“
„Aber vielleicht wollte ich heute zur Abwechslung mal einen vor Sorge kranken, liebevollen und sanften Aominecchi haben, der sich rührend um mich kümmert und mir jeden Wunsch von den Augen abliest, hm?“
„Vielleicht wolltest du aber auch, dass ich dich heute bis zur Besinnungslosigkeit ficke, damit du nicht mehr auf die Idee kommst, meine Aufmerksamkeit mit so einer bescheuerten Aktion auf dich zu ziehen!“
„Nein, das ist ausgeschlossen“, stellte Kise umgehend klar. „Ich brauche eindeutig ganz viel Liebe und Zuwendung. Tröstest du mich jetzt?“
Er wurde an den Handgelenken ergriffen und befand sich im nächsten Moment mit dem Rücken gegen den flauschigen Teppich gedrückt – Aomine über ihm.
„Na? Genug Liebe und Zuwendung, hä?“, fragte der Polizist frech mit angriffslustigem Unterton und einem entsprechenden Grinsen.
Kise konnte sich nicht anders verhelfen, als darauf mit einem Lachen zu erwidern, das keine Chance hatte auszuarten, da Aomine es mit einem dominanten Kuss im Keim erstickte.
Und während sich die Situation doch noch in seine Lieblingsbeschäftigung entfaltete – ganz im Gegensatz zu Aomines ehemaliger Annahme – lagen die Scherben der Keramiktasse in dem beiseitegeschobenen Holzkästchen unweit des Geschehens und konnten sich seelenruhig die homoerotische Krönung des Spektakels ansehen.

So vergingen die letzten Stunden des glücklichen und erfüllten Lebens eines Küchenutensils, bevor es friedlich von den Engeln in orangenen Overalls abgeholt und in den sagenumwobenen Himmel der Haushaltsgegenstände entlassen wurde.



- der Vorhang fällt -




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Kapitel 2 – … und der Schrei nach Liebe
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